
Ernsthaft: Hat es das schon jemals gegeben, dass ein Game vielerorts letztlich nur auf die Frage reduziert wird, ob es noch den Geist eines bestimmten Designers in sich trägt oder nicht? Seit seiner Ankündigung stand Konamis neuestes Metal Gear unter genau dieser Art von Dauerbeobachtung: Konnte der Abgang von Schöpfergott Hideo Kojima nach der Produktion des letzten großen Haupttitels The Phantom Pain adäquat kompensiert werden oder ist Survive ein Armutszeugnis für einen respektlosen Publisher, der nach mehreren Jahrzehnten des gemeinsamen Erfolgs nicht das Know-how zusammenbringt, auch ohne Kojima einen richtig guten Nachfolger vorzulegen? Die meisten Kommentare zum Ende Februar für PS4, Xbox One und PC erschienenen Survival-Adventure zeugen von der zumindest latent aufscheinenden Enttäuschung, eben keinen echten (also gewohnt grandiosen) Nachfolger für die für ihre Eigenwilligkeit geliebte Reihe kredenzt bekommen zu haben.
Der Mangel an Qualität zieht dann fast zwangsläufig definitorische Konsequenzen nach sich. Ist Survive denn eigentlich überhaupt ein echtes Metal Gear? Der Titel somit nur ein verkappter Etikettenschwindel? Fans und Ideologen mögen diese Fragen vielleicht wirklich spannend, eventuell sogar zielführend finden. Aber eigentlich dürfte die meisten Gamer am Ende des Tages nur umtreiben, ob das Ergebnis an sich nicht vielleicht doch überzeugt und das ganze Gerede nur eine pseudo-besorgte Fanblase ist. Schließlich muss man sich um Meister Kojima, der nach seiner schimpflichen Demission von Konami längst mit eigenem Studio an neuen Projekten arbeitet und es nach wie vor bestens versteht, mit nur wenigen Trailer-Nebelkerzen (Stichwort Death Stranding) für Hysterie zu sorgen, keinerlei Sorgen machen. Ehe wir aber eine zu starke Gegenposition einnehmen: Hier kommt leider doch das große Zugeständnis an die Debatte, der wir so gerne ein besseres Ergebnis entgegengehalten hätten.
Wie viele Kritiker, die trotz jahrelanger Liebe zu den Vorgängern auch ohne Schaum vorm Mund einfach nur gerne ein gutes Game mit spannenden Ansätzen gezockt hätten, kommen nämlich auch wir nicht herum, an Survive nicht immer ein gutes (Zombie-)Haar zu lassen. Ein totaler Reinfall, wie oft behauptet in letzter Zeit, ist es aber beileibe nicht; auch wenn – und das gehört dieser Tage auch zur Wahrheit der Game-Branche – leider auch Konami nicht widerstehen konnte, seinem jüngsten Streich ein paar unnötige bis peinliche Mikrotransaktionen aufzudrücken. 10 Euro für einen zusätzlichen Speicherstand? Allein die vorhersehbar negative PR hätte da Warnung genug sein müssen. Man frage nur EA und Dice in Bezug auf Star Wars: Battlefront 2.
Der Kulturschock fällt bei Survive groß aus. Keine wirklich epische Story, kaum das für die Reihe einzigartige Charakterdesign mit besonders durchgeknallten, aber irgendwie dennoch nahe an der Realität angesiedelten Militärreferenzen, kaum riesige Kampfmaschinen, die ähnlich wie die Transformers eine ihnen innewohnende (Hass-)Liebe zum großen Kaliber nicht verbergen können und vor allem auch kein Einzelkämpfer mit Codenamen wie Snake oder Big Boss. Zugegeben, schon mit Metal Gear Rising: Revengeance wagte Konami zusammen mit Platinum Games den Sprung weg vom taktischen Stealth-Unterbau der ursprünglichen Teile hin zum akrobatischen Fighting-Game, konnte aber auch hier schon die etatmäßige Klientel trotz Einhaltung einiger der eben genannten Faktoren nicht wirklich überzeugen. Zu unbeliebt der Protagonist Raiden, zu anders das Gameplay.
Survive vermeidet das Identifikationsproblem auf andere Weise. Wir übernehmen die Rolle eines selbst zusammengebastelten Soldaten (oder Soldatin), der während der desaströsen Ereignisse der letzten Episoden Ground Zero und The Phantom Pain irrwitzigerweise über ein Wurmloch in eine fremde Dimension geschleudert wird, um dort plötzlich gegen Alienzombies und die kargen bis lebensfeindlichen Verhältnisse zu bestehen. Ein Weg nach Hause dürfte dann bitte auch noch gefunden werden.
Lässt man die für Metal Gear eigentlich gar nicht mal so abwegige Storyvolte bei Seite, sorgen die ersten Eindrücke durchaus für Laune und Anbindung an die Vorgänger. Denn sowohl die Inszenierung mit einigen schicken Cut-Scenes als auch der Mix aus Schleichen, Ausrüsten, Sammeln und Taktik bietet Potenzial. Über die gut zwanzig Spielstunden besteht unsere Kernkompetenz etwa darin, eine eigene Basis zu einem veritablen Machtzentrum auszubauen (man erinnere sich an The Phantom Pain), weitere Menschen zu befreien, Informationen über neue Waffen, Geräte und die außerirdische Gefahr zu sammeln und dabei Stück für Stück neue Gebiete auf der Weltkarte aufzudecken.
Leider nimmt das Game seinen Namenszusatz dabei fast zu ernst. Denn Überleben heißt hier vor allem, die ständig absinkende Nahrungs- und Durstanzeige aufzufüllen, um nicht einzugehen – und das passiert leider viel zu schnell. Ganz im Ernst, liebe Programmierer, was habt ihr euch bei diesen extrem frustrierenden Dauerzeitlimits gedacht, die nur dazu führen, dass wir ständig mit der Angst vor dem Sofortexitus auf der Suche nach Ressourcen sind. Auch die überladenen und eher unübersichtlichen Menüs, durch die wir uns zum Bau von Waffen, der Zubereitung von Nahrung, der Herstellung von Kleidung oder sonstigen Aufgaben ständig durchwühlen müssen, kosten viele Nerven und buchstäblich unnötig Lebenszeit. Gerade dann, wenn dauernd Material gesammelt, geordnet und verarbeitet werden muss. Da hilft auch der mit zunehmender Spieldauer nervtötende KI-Assistent nicht wirklich, da man ihm in seinem Dauergequatsche einfach nicht mehr zuhören mag.
Doch fairerweise funktionieren alle Mechaniken des Gameplays dennoch an sich gut und wenn man sich eben nicht von den beiden gerade genannten Frustaspekten abschrecken lässt, kann gerade der Basenausbau eine sehr befriedigende Angelegenheit sein. Auch die Kämpfe gegen die sehr starken, aber hochgradig einfältigen Zombies (die allerdings in viel zu wenigen Klassen zum Angriff blasen) fällt motivierend aus, da wir mit Schleichen und ein wenig Strategie (etwa mithilfe der Errichtung von Zäunen und spezieller Waffen) sehr variabel unterwegs sind und man sich bis zum Ende ein sehr stattliches Arsenal an Ausrüstungsgegenständen gezimmert hat.
Da sich die – typisch Metal Gear– etwas hakelige Steuerung ebenso wie die Kamera kaum Blöße gibt, können sich Kenner der Vorgänger auch in dieser offenen Spielwelt ordentlich austoben (bis eben wieder die Lebensanzeigen aufschreien) und sogar in schmissigen Koop-Schlachten mit anderen Spielern verschiedene Verteidigungsmissionen in begrenzten Bereichen angehen. Trotz der dummen Gegner-KI macht es im Multiplayer viel Spaß, gemeinsam Hindernisse aufzustellen und sich mit verschiedenen Waffeneinsätzen zu koordinieren.
Ein etwas sperriges Spielerlebnis, das man sich mit Geduld also schönspielen kann – klingt eigentlich ganz gut. Doch das ist erneut eben nur die halbe Wahrheit. Denn das vielleicht größte Problem von Survive liegt in seiner eklatant fehlenden Story-, Figuren- oder auch Settingmotivation. Die leider arg flache, zwischen Anfang und Ende meist nur mit statischen Bildern präsentierte Handlung ist mit Abstand das uninteressanteste Gerüst, was die Reihe je aufgefahren hat. Waren die früheren Titel durchzogen von Leitthematiken wie der Angst vor der nuklearen Zerstörung, dem Kräftespiel der Weltmächte oder moralischen Folgen der Gentechnik, liefert Survive einen Militärplot von der Stange, zu dem sich die völlig platten, nur mit viel leerem Retterpathos vermeintlich charakterisierten Figuren wie einige Soldaten, ein kleiner Junge und eine Krankenschwester mit Häubchen gesellen. Die englischen Sprecher machen dabei einen soliden Job, können den Mangel an Tiefe allerdings naturgemäß nicht kompensieren. Auch legendäre Bossfights, wie sie zum Metal Gear-Standard gehören, vermisst man bis auf eine Ausnahme (der erste Boss nach zig Stunden). Selbst der letzte von dann tatsächlich auch nur zwei Bossen besteht eigentlich nur aus der Abwehr von Gegnerhorden innerhalb eines Zeitlimits. Das ist viel zu wenig.
Auch beim Design der Spielwelt muss Kritik erlaubt sein. Die fremde Dimension ist schlussendlich nichts weiter als eine endlose wüstenähnliche Steppe, die trotz der eigentlich sehr potenten Fox-Grafikengine schon nach wenigen Stunden einfach nur anödet, weil es keine wirklich anderen Schauplätze gibt als verfallene Gebäude, Berge oder vereinzelt herumstreunendes Getier. Überhaupt wird man nie das Gefühl los, hier nur eine Variation (aka Kopie) des Open-World-Afghanistans aus The Phantom Pain vorgesetzt zu bekommen. Wer zuletzt ein so beeindruckend lebendiges, atemberaubend abwechslungsreiches World-Building wie in Capcoms überragendem Monster Hunter World genossen hat, kann sich hier nur irgendwann gelangweilt auf die Gameplay-Elemente mit ihren vielen verschiedenen Aufgaben konzentrieren und die fade Welt einfach soweit nur möglich ausblenden.
Fazit
Schade, jetzt sind auch wir an dieser Stelle teilweise sehr hart mit Metal Gear Survive ins Gericht gegangen, obwohl uns die positiven Aspekte wie die gut funktionierenden Kampfmechaniken, der Koop-Modus oder der Basenbau dann doch länger vor dem Bildschirm gehalten haben als es das nach gutem Einstieg zeitweise überfordernde Gameplay vermuten ließ.
Das neue Metal Gear hat unbestritten seine Stärken und ist für härtere Survival-Semester ein gefundenes Fressen, die weniger Wert auf eine wirklich tiefgründige und cineastisch präsentierte Story oder die ruhmreiche Vergangenheit der Reihe legen, sondern eher den Reiz genießen wollen, ihren Ressourcenhaushalt zu pflegen, den eigenen Avatar in eine echte Kampfmaschine zu verwandeln und aus der anfänglichen Minioase (genannt Basislager) eine richtig schicke Kampfstation zu entwickeln. Alles eben letztlich eine Frage des Maßstabs. Aber Konami: Könnt ihr nicht bitte jetzt wieder ein richtiges Metal Gear produzieren? Fans fordern sicher die Betonung auf „richtiges“…
Metal Gear Survive • Konami Digital Entertainment • Survival-Adventure
Abb. © Konami Digital Entertainment